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Pac-Man gibt’s hier nicht zu sehen

Museum für Gestaltung

Videospiele haben sich innerhalb kürzester Zeit vom Nischenprodukt zum Massenphänomen entwickelt. Im Museum für Gestaltung Zürich erhält man Einblicke in diesen lebendigen Designbereich. Das Kurationsduo Maike Thies und Damian Fopp über Paradiese, Stigmata und eine boomende Branche.

Wer räumt das Chaos auf, das wir auf diesem Planeten anrichten? Diese Frage bringt gerade viele Menschen in Rage und auf die Strasse. Im Museum für Gestaltung Zürich kann man sich nun spielerisch in Schadensbegrenzung versuchen. Die Ausstellung «Game Design Today» präsentiert einen Rundumblick auf die zeitgenössische Videospielkultur. Zu sehen ist dort unter anderen das Spiel «Terra Nil» des südafrikanischen Studios Free Lives. Das Game nutzt die Mechaniken eines Aufbau-Strategiespiels, stellt diese aber auf den Kopf: Gestartet wird in einer verseuchten Wüste ohne Lebewesen. Ziel des Spiels ist es, Gräser, Büsche und Bäume wachsen zu lassen, Windenergie zu nutzen, das Klima auszugleichen, den Boden fruchtbar zu machen und damit Tiere zur Rückkehr zu bewegen. Um am Ende selbst in einem futuristischen Flugobjekt zu entschweben. Zurück bleibt eine heile Welt im paradiesischen Urzustand.

Gesellschaftsspiele
«Games kämpfen bis heute mit diversen Stigmata, die längst nicht mehr der Realität entsprechen», sagt Damian Fopp. Der Senior Curator am Museum für Gestaltung Zürich hat die Ausstellung «Game Design Today» zusammen mit Maike Thies konzipiert, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fachrichtung Game Design an der ZHdK arbeitet. Mit dieser Schau wollen sie Games als Kulturgut, als kreative Leistung von Künstler:innen und Designschaffenden sichtbar machen. Der Ausstellungsraum erinnert denn auch eher an einen White Cube als an eine Gaming Arcade. Couches und Chips sucht man vergebens, zum Gamen sind die Besucher:innen jedoch ausdrücklich eingeladen. Um sich dabei vielleicht spielerisch des einen oder anderen Vorurteils zu entledigen. Etwa dass Games nur der Unterhaltung dienen, süchtig machen und Gewalt fördern würden. Die Ausstellung zeigt zudem, in welch unterschiedlichen Bereichen Videospiele im Einsatz sind, dass sie etwa Diversität, Klimawandel, Migration oder die Schnittstelle zwischen Mensch und Technologie thematisieren.

Auch den «Serious & Applied Games» widmet sich an der ZHdK ein Forschungs- und Entwicklungsbereich. Also jenen «ernsten» Spielen, die unter anderem für rehabilitative, therapeutische oder edukative Zwecke entwickelt werden. Thies nennt etwa das Projekt «Gabarello». Das Spiel soll geheingeschränkte Patient:innen zum Training in einer Gangorthese motivieren. Die Motivation stellt besonders bei Kindern einen kritischen Faktor dar: Für die Betroffenen ist es oft sehr fordernd, durchgehend aktiv an Therapiesitzungen mitzuwirken. Tatsächlich lässt sich durch den Einsatz von «Gabarello» ein positiver Effekt auf den Therapieerfolg nachweisen. Thies sagt: «Das Grundkonzept dieser Projekte ist ein iterativer Designprozess, der darauf abzielt, das Produkterlebnis – die konkrete Therapiesitzung – im Sinne der Nutzer:innen zu optimieren. Forschung und Design gehen hier eine spannende Beziehung ein.» Auch das Bewegungsspiel «ExerCube» des ZHdK-Spin-offs Sphery AG ist Teil der Ausstellung und eine Erfolgsgeschichte. Mit ihm lassen sich manchmal sogar bessere Ergebnisse als bei der Arbeit mit einem Personal Trainer erzielen, da die Bewegungen der Spieler:innen dank des ausgeklügelten Kalibrierungs- und Trackingsystems exakt ausgeführt werden müssen, um Punkte zu sammeln.

Ein junges Medium
«Das letzte Jahrhundert war dominiert vom Aufkommen bewegter Bilder. Das jetzige wird von virtuellen Welten bestimmt sein. Das Medium Game ist der Pixelästhetik von Pac-Man und Tetris längst entwachsen, obwohl es kunsthistorisch gesehen noch in den Kinderschuhen steckt», sagt Damian Fopp, der vermehrt digitale Gestaltungsfelder ins Museum bringen will. Neben grossen Firmen wie Warner Interactive, die Games mit Blockbuster-Garantie produzierten, sei parallel dazu ein breites Feld für Indie-Entwickler entstanden, die auch die hiesige Szene dominierten. «Kleinere Studios gehen mehr Risiko ein und bringen so interessantere Inhalte in die Spiele. Selbst als Kleinstbetrieb kannst du Minigames fürs Telefon entwickeln. Die Verkaufskanäle sind demokratisiert, was eine Pluralität der Stimmen ermöglicht», sagt Fopp. Diese Vielfalt ist im Museum für Gestaltung Zürich zu sehen, denn die Schau ist keine historische. Hier steht das zeitgenössische Schaffen einer Branche im Fokus, die 2021 die Musik- und Filmindustrie umsatzmässig überholt hat.

Wir müssen über Funding sprechen
Die Entwicklungsbudgets sind dabei mit jenen der Filmindustrie vergleichbar. Auch bei der Entstehung eines Spiels gibt es unterschiedliche Phasen: von der Idee über die Konzeptions- und Recherchephase sowie die einzelnen Gestaltungsschritte bis hin zur technischen Umsetzung. Die Schweizer Szene kämpft mit Finanzierungsproblemen. Maike Thies sagt: «Finanzielle Unterstützung wird in der Schweiz derzeit nur durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia geleistet. Mit ihren verschiedenen Förderprogrammen trägt sie seit nunmehr zehn Jahren dazu bei, dass Games in der Bevölkerung als Kulturgut, aber auch als potenzieller Wirtschaftsfaktor wahrgenommen und sichtbar werden. Mit ‚Swiss Games‘ hat sich ein Brand entwickelt, der auch international auf grosses Interesse stösst.» Dieser Brand sei von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis in den Teams, einem agilen Miteinander, einer künstlerischen Handschrift und der oftmals gegebenen gesellschaftlichen Relevanz der Spiele geprägt. Es brauche jedoch eine solide Förderung, meint Thies: «Mit kleinen Finanzspritzen erzeugt man keinen grossen Boom. Dieser Kreativzweig wird dazu gezwungen, am existenziellen Minimum zu arbeiten. Es ist an der Zeit, dass Politik und Wirtschaft anerkennen, dass die Schweizer Gameszene viel zu bieten hat und es hier eine klare Positionierung braucht.» Neben der unzureichenden finanziellen Förderung sei es die fehlende Sichtbarkeit der Szene, die dieser zu schaffen mache: «Es gibt im Journalismus fast niemanden mehr, der Schweizer Game-Entwickler:innen begleitet. Einige Schlüsselfiguren sind zwar bekannt, aber es gibt schweizweit mehr als 100 Studios, die im Bereich Games und immersive Technologien agieren.»

Platz für besondere Games
An der ZHdK ist die Fachrichtung Game Design im Departement Design verortet und hebt sich von anderen Ausbildungsstätten mit eher technischem Profil ab. Das Bachelorstudium ist ein generalistisches. In Modulprojekten können die Studierenden an allen Arbeitsprozessen partizipieren, was ihnen im späteren Berufsleben grösstmögliche Flexibilität ermöglicht. «Bei uns ist der Bachelor ein geschützter Raum, in dem man sich austoben und seine Skills einbringen, vertiefen und erweitern kann.» Thies nennt den ZHdK-Alumnus Mario von Rickenbach, dessen Arbeit «Rakete» mittlerweile Teil der Sammlung des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe ist und der sich eben nicht nach der klassischen Industrie ausrichtet. «Denn auch dafür braucht es einen Platz: Spiele, bei denen es mehr um experimentelle Fragestellungen und künstlerische Zugänge geht. Wenn sich die Studierenden auf Projekte mit garantiertem kommerziellem Erfolg begrenzen müssten, würden wir viel von dem verlieren, was die Schweizer Szene so besonders und einzigartig macht. Aus meiner Sicht ist es zwingend, diese Perlen zu fördern, für die andere Verwertungsmechanismen gelten.»

Auch in weiteren künstlerischen Bereichen werden diese Fähigkeiten der Studierenden vermehrt gesucht. «Gamedesigner:innen arbeiten plötzlich mit Filmemacher:innen und Theaterschaffenden zusammen. Im Ausland ist das längst kein Thema mehr, bei uns braucht es noch etwas Überzeugungsarbeit», meint Thies. «Über die Ausstellung und das öffentliche Rahmenprogramm versuchen wir, ein breites Publikum für den Gamebereich und dessen künstlerische Potenziale zu begeistern. Und können vielleicht dazu beizutragen, dass die Schweizer Szene über die Kulturförderung hinaus auch eine wirtschaftliche Grundlage erhält. Um Luft holen, wachsen und auch verstärkt ins Ausland strahlen zu können.»

«Game Design Today», bis 23. Juli 2023 im Museum für Gestaltung Zürich, Pfingstweidstrasse 96. Aktuelle Informationen und Öffnungszeiten: museum-gestaltung.ch.

Samorost 3, 2016, © Amanita Design
Samorost 3, 2016, © Amanita Design